Hannelore May wurde am 18. Januar 2018 auf dem Friedhof an der Stubenrauchstraße in Berlin-Friedenau beigesetzt.
Halina Bendkowski, die u.a. mit Hannelore und mir in der Berliner FrauenfrAKTION aktiv war, hielt eine der Trauerreden:
Liebe Hannelore (nein, ich bin nicht religiös, aber zum letzten Mal spreche ich Dich direkt persönlich auf Erden an), liebe Trauergäste,
es ist meine erste Trauerrede und ich konnte mich dieser Aufgabe einfach nicht entziehen, denn wenn sie es hörte, weiß ich, dass ihr daran gelegen gewesen wäre, von verschiedenen Seiten, die alle ihre waren, gewürdigt zu werden. Mir obliegt die politische Würdigung. Einer aus unserer Unterstützungsgruppe für Hannelore schrieb mir: “Ich fände es gut, wenn du, Halina, über Politik sprechen könnest, marxistische, feministische, grüne, erstens weil ich wenig darüber weiß, und zweitens weil doch viele Leute aus der Zeit kommen werden.“ Das will ich nun in 5 Minuten versuchen. Wie viele wissen, stammt Hannelore aus einem gebildeten und wie sie betonte antifaschistischem Buchhändlerhaushalt und sie ist dem Lesen so lange sie konnte, ernsthaft verbunden geblieben. Jede AutorIn träumt von solch einer Lesenden. Die Texte sind von ihr sichtbar bearbeitet und als Dokumente des Dialogs dringlich einer interessierten Nachwelt zu empfehlen. Kurz nach ihrem Tod am 2. Weihnachtsfeiertag 2017, war ich wie verabredet zu Besuch bei ihr. Da lag sie nun als schöne Leich, wie die Wiener schaudernd sagen und so empfand ich es auch. Mir wurde es etwas unheimlich mit ihr allein. Aber dann sah ich in ihr beinahe schmunzelndes Gesicht und fühlte mich getröstet. Friedlich ruhend inmitten ihrer Bücheregale, konnte man die Phasen ihres Lebens an den Themen und Titeln rund umblickend nachverfolgen.
Ich lernte Hannelore kennen als ich Anfang der 80er Jahre wegen der Opfer/Täter Debatte zum Weiberrat kam, der in Nachfolge des aufgelösten SFB (Sozialistischer Frauenbund) , wo Hannelore zuvor aktiv war, bereits mehr in feministische Unruhe geriet als marxistisch zulässig. Damals vermischten sich die unterschiedlichen Frauen-Szenen über gemeinsame Themen, dagegen im Vergleich die linken Splitter Gruppierungen über gleiche Themen noch immer radikal zerstritten blieben. Was mir imponiert hatte, war, dass Hannelore zur KLARHEIT gehörte, die dem Berliner Zentralorgan der WAHRHEIT konkret widersprach und einen Ausschluss aus der SEW zur Folge hatte. Wie leicht sich das heute schreibt und wie schwer solche Abschiede waren, hat sie mit vielen geteilt. Hannelore hatte nicht umsonst nach ihrer Buchhandel Lehre zusätzlich Ökonomie studiert, die bei ihr eindeutig politisch motiviert war. Darüber sich die Weltveränderung zu erarbeiten , war mit marxistischen Anstrengungen verbunden. Sie war, was man damals eine Engagierte nannte, aktiv im ARGUMENT und in deren Frauenredaktion. Die dortige Warnung vor der Desorientierung durch den bereits tobenden Feminismus und dem aufblühenden Lacanismus, führte sie gezielt dorthin. Zu den auch von ihr mitverantworteten Volksuni-workshops in Berlin lud sie genau diese marxistisch kritisierten Andersdenkenden ein. Es war nicht einfach für sie, sich aus der theoretischen Sicherheit des Marxismus heraus zu wagen. In allen Lebensphasen liebte sie Theorien, die ihrem Wunsch nach Idealisierung oder Sublimierung entgegen kamen. Ich zitiere ihr Verständnis: „Optimismus in der Theorie als Verlangen beim Schreiben.“ Und sie wollte, wie sie in einem Brief schrieb, „Optimist sein“. Niemand hat mir so begeistert von ihrem Leseglück mit Peter Weiss’ Ästhetik des Widerstandes erzählt, wie sie. Als ich sie nach eigener Lektüre der“ Ästhetik des Widerstandes“ etwas ungläubig fragte, ob sie denn jemals solche Bildung und Aufklärung suchenden Arbeiter kennen gelernt habe, erinnere mich an wunderbare Geschichten von ihr. Allerdings weiß ich nicht mehr, ob sie real oder den Theaterstücken Bert Brechts oder anderen Texten über Arbeiter entlehnt waren. Ihr Wunsch durch‘ höhere ‚Bildung, sich und andere zu beglücken, war ein immer währender movens, wie sicherlich auch ihre KollegInnen aus der Jugend und Arbeitsmarktbildung bestätigen könnten. Sie war an der Gründung der Berliner FrauenfrAKTION beteiligt und an fast allen Debatten, die wir fast zu allen Themen in und ausserhalb Berlins feministisch mitbestimmen wollten, als aktive Impulsgeberin involviert. Es gab zuletzt in unserer Runde der Berliner FrauenfrAKTION eine Debatte, ob diese Zuschreibung nicht eine Tautologie sei, doch es blieb mir wichtig, in unserer Todesanzeige der Berliner FrauenfrAKTION, Hannelore als aktive Impulsgeberin zu würdigen. Denn in den Hochzeiten der Theorienkonkurrenz gab es viele Meister, die Impulse gaben, ohne sich in den Wirklichkeiten der Praxis orientieren zu können. Und darum aber hat sich Hannelore meisterlich bemüht. Viele, die mit ihr politisch oder beruflich zu tun hatten, waren auch mit den Texten, die sie zu den Themen las , konfrontiert. In öffentlichen Auseinandersetzungen war das manchmal bis häufig verwirrend oder unverständlich, aber damit machte sie es sich selber und den Vereinfachern schwerer, so zu tun als sei es so einfach, wie es schien. Viele der Jüngeren in der Berliner FrauenfrAKTION betonten gerade diese Verwirrung als immens produktiv für ihr Nachdenken. Hannelore ging weiter aus unserer Politik heraus, durchaus zu meinem Verdruss. Aber die Realpolitik als alternativ -grüne Herausforderung begann sie mehr zu interessieren. Ihre Niederlage bei der Wahl zur Senatorin in der ersten rot/grünen Berliner Koalition 1989 verarbeitete sie sehr kreativ in einer „HYMNE AN MEINE UNPOLITISCHEN FREUNDINNEN. (TAZ 16.5. 1989)Psychoanalyse und die Lacanisten wurden ihr wichtiger. Beim vorletzten Vorlesen las ich ihr ungezielt aus einer Amos Oz Preisrede vor, in welcher er erklärte, warum er trotz Nachfrage nicht in die richtige Politik gegangen sei, er: weil er kein Monster werden wollte. Hannelore war sehr aufmerksam und wollte sprechen. Aber leider ging das schon seit langer Zeit nicht mehr. Hannelore, die nach ihrer Diagnose vor über 20 Jahren nicht aufgegeben hatte ein selbst bestimmtes Leben durchzusetzen, kandidierte im März 1996 erfolgreich als parteilose bekannte Arbeitsmarktspezialistin für das Amt der Stadträtin für Jugend, Volksbildung und Kultur in Berlin-Kreuzberg und blieb es bis 2000. Im fortwährenden Unbehagen in und an der Kultur fand sie weiter bei den Lacanisten die produktive Verwirrung, die sie offenbar besser im und am Leben ließ. Anders als befürchtet, konnte sie mit ihrer zunehmenden Hinfälligkeit besser umgehen als von uns allen vermutet. Sie konzentrierte sich wie immer ernsthaft auf diejenigen, die ihr aus dem von ihr erwählten FreundInnenkreis zur Unterstützung beistanden. Ihre Freude und Dankbarkeit galt dem Pflegedienst, der es ihr ermöglichte zu Hause zu bleiben. Wer später zu Hause das Hölderlin Gedicht: „Lebenslauf“ in Gänze nachlesen mag, wird ihren Rückzug aus der Politik nachvollziehen können. Das Gedicht hing vergilbend als Zettel in der Küche. Sie ließ es sich sehr gerne von mir vorlesen.