Jetzt muss ich doch auch mal was zur Affäre „Lovemobil“ sagen. Erstmal gilt – immer – sex sells. D.h. so ein Thema lässt sich immer vermarkten. Und: Einen Film über den Alltag in der Prostitution an der Landstraße mit einem Titel zu überschreiben, in dem das Wort „Liebe“ vorkommt, da stöhne ich sowieso schon im doppelten Sinn auf.
Und noch was: Eine Anfängerin möchte gerne im knallharten Gewerbe der DokumentarfilmerInnen Fuß fassen. Da schmückt es natürlich, wenn neben der eigenen Produktionsfirma ein örr-Sender als Ko-Produzent auftritt. Das gelingt allerdings nur, wenn man bzw. frau der Redaktion das Blaue vom Himmel verspricht. In diesem Fall: mit der Kamera im Wohnmobil Prostituierte bei der Arbeit begleiten. Das ist nicht so einfach. Die Autorin hat jahrelang recherchiert, logisch. Sie hat es aber nicht geschafft die – dokumentarischen Szenen – in den Kasten zu kriegen. Was sie stattdessen gemacht hat, ist nun Gegenstand vieler Diskussionen.
Am Ende auch langweiliger Diskussionen, weil um des Pudels Kern herumgeschwurbelt wird. Die Autorin konnte nämlich ihre Terminvorgaben nicht erfüllen und bat in der Redaktion um Aufschub. Da hätten bei einem erfahrenen Redakteur schon mal die ersten Lampen angehen müssen. Dass Autoren zu viel versprechen, um Aufträge oder eine Finanzierung zu kriegen, ist völlig normal. Nur die, die fest im Sattel sitzen, verkaufen Realien. Das ist das System. Und weil das Geschäft so ist wie es ist, wusste die Autorin, wenn sie mit offenen Karten spielt, würde der Sender abspringen. Mit dieser Angst im Nacken hat sie dann tief in die Kiste der unlauteren Methoden gegriffen und den Pfad der Tugend verlassen. Sie hat viele Szenen von Laien und Freunden spielen lassen. Und zu allem Überfluss hat sie wohl die auch noch machen lassen, also nicht entlang ihrer Recherchen Regie geführt, sondern den jeweiligen Vorurteilen und dem „ich spiel mal ne Nutte oder einen Zuhälter“ ihrer DarstellerInnen freien Lauf gelassen. Und das natürlich nicht kenntlich gemacht. Das Produkt war nun mehr Fiktion als Dokument.
Die Melange hat vielen Leuten – warum auch immer – sehr gut gefallen. Vielleicht weil ihre eigenen Vorurteile so treffend dargestellt wurden, oder ihr Voyeurismus befriedigt wurde. Verschiedene Jurys überhäuften den Film mit Preisen. Als das „making of“ aufflog, fiel die gefeierte Debütantin tief. Und alle stehen daneben und zeigen nun mit dem Finger auf sie. Die Frage ist doch: wieso fiel weder den Leuten bei der Filmförderung etwas auf noch den Juroren oder den NDR Verantwortlichen.
Im Nachhinein werden die Möglichkeiten aufgezählt, wie man die fehlenden Szenen auch in einem Dokumentarfilm hätte ersetzen können: mit grafic novel oder Originaltönen aus dem Off, oder als Doku-Drama Spielszenen mit SchauspielerInnen. Material gab es genug, schließlich war ja lange genug recherchiert worden. Aber – ich wiederhole mich – derartige Auswege stehen nur arrivierten Autoren offen, nicht den Anfängerinnen, die sich mit ihrem Projekt völlig übernommen haben. Und als Film für die große Kinoleinwand schon gleich gar nicht. Und Dinge wie den „nie gehörten O-Ton“ oder die „noch nie dargestellte authentisch-dokumentarische Filmszene“ sollte man gar nicht erst versprechen oder wenn die Geldgeber ganz heiß drauf sind, mit Netz und doppeltem Boden arbeiten. Ansonsten kann der Sturz auf den Boden der Realität recht schmerzhaft werden.