Letzens gab es mal wieder im Deutschlandradio eine bemerkenswerte Sendung über China. Staatspräsident Xi Jinping hatte sich ja auf Lebenszeit inthronisieren lassen und das Schulfach „Die Lehren des Xi Jinping“ o.s.ä. einführen lassen. Das gute alte Rotlicht – wie wir früher sagten. Eine weitere Veränderung in der Bildungspolitik ist das Verbot von Nachhilfeunterricht. Das machte mich stutzig und ich kramte meine alte Sendung über die Kulturrevolution von 2013 hervor. Darin fand sich folgendes Mao Zitat: „Es wird in China nicht nur eine Kulturrevolution geben, sondern nach 50 Jahren wird es wieder eine Kulturrevolution geben, denn dann wird der Kapitalismus sich wieder etablieren und dann muss es wieder eine Kulturrevolution geben und es wird ein unendlicher Prozess, in dem man immer wieder egalitäre Vorstellungen realisieren muss.“
In China geht es jetzt auch wieder um die Herstellung egalitärer Verhältnisse: alle sollen gleich reich werden, heißt es – vielleicht nicht so reich wie die Familie von Xi Jinping – aber auf jeden Fall müssen gerade einige richtig Reiche z.B. aus der FinTech-Industrie Federn lassen.
Mao Zedong – jedenfalls – sah sich in der Tradition der chinesischen Bauernrevolutionäre, die Dynastien stürzten und selbst zum Kaiser aufstiegen. Auf Maos Seite standen damals seine Ehefrau Jiang Qing und Verteidigungsminister Lin Biao, seine Kontrahenten an der Spitze der Kommunistischen Partei Chinas waren Deng Xiaoping und Liu Shaoqi. Zwischen beiden Lagern versuchte Ministerpräsident Zhou Enlai als Pragmatiker die Balance zu halten. Deng und Liu waren in Maos Augen Technokraten, deren Politik vor allem das Wachstum der Wirtschaft zum Ziel hatte, nicht so sehr den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft.
Wer weiß, vielleicht fühlt sich Staatspräsident Xi Jinping Mao näher, als man denkt. Dem Personenkult verhilft er zur Zeit zu neuer Blüte. Und das, obwohl er in der Kulturrevolution als Sohn eines abgesetzten Parteifunktionärs untertauchen und wie Ministerpräsident Li Keqiang auf dem Land arbeiten musste.
radiowissen auf br 2 vom 15. Juli 2013 – unentgeltlich als podcast zu hören
Die Kulturrevolution in China – Mehr als ein Kampf um die Macht
Sie sollten gegen bourgeoise Ideen kämpfen und gegen alles Althergebrachte: die Roten Garden. Millionen Oberschüler und Studierende beiderlei Geschlechts zogen im ersten Jahr der Kulturrevolution plündernd durch Chinas großen Städte. Zuerst traf es Lehrer und Professoren, dann unter der Parole – „Bombardiert das Hauptquartier!“ – Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas. Gleichzeitig genossen die Jugendlichen ein nie da gewesenes Maß an Freiheit in den 10 Jahren der Kulturrevolution von 1966 – 1976. Sie war Maos letzter Versuch, sein ideologisches Erbe zu retten: seinen Traum von der egalitären Gesellschaft.
Erzählerin
Die Kulturrevolution in China war eine Revolution zur Zerstörung der Kultur.
Musik (z.B. heroische Gesänge aus der Zeit der Kulturrevolution)
Erzählerin
Unbehelligt von Polizei und Armee zogen Millionen Oberschüler und Studierende in Kampftrupps marodierend durch die Straßen der großen Städte: die Roten Garden. Wer ihnen in die Hände fiel, wurde zusammengeschlagen, gedemütigt. Viele begingen anschließend Selbstmord. Ehemalige Respektspersonen wie Lehrer und Professoren mussten mit Schmähschriften um den Hals auf öffentlichen Plätzen knien und sich selbst bezichtigen, Verbrecher zu sein.
Musik (z.B. heroische Gesänge aus der Zeit der Kulturrevolution)
Erzählerin
Das Fanal zum Aufstand gegen alles Bürgerlich- Bourgeoise, Konterrevolutionäre und Revisionistische war eine Wandzeitung, die die Kulturrevolutionsgruppe um Maos Ehefrau Jiang Qing am 25. Mai 1966 in der Peking-Universität aufhängte:
Zitator: (Zitat Wandzeitung)
„Die Zeit ist gekommen für alle revolutionären Intellektuellen, in die Schlacht zu ziehen! Vernichten wir all die Schlangengeister und Rinderdämonen und führen wir die sozialistische Revolution zu ihrem Ziel!“
Erzählerin
Schlangengeister und Rinderdämonen sind nach dem chinesischen Volksglauben böse Geister, die menschliche Gestalt annehmen, um Unglück zu bringen. Doch Ziel der Kulturrevolution war es keineswegs, böse Geister zu enttarnen. Der Sinologe Hans Kühner von der Ludwig – Maximilians Universität München:
Zuspielung 1:
„Es war eine Bewegung von Studenten, von Intellektuellen, von Angehörigen der Mittelschicht, die sich zurückgesetzt gefühlt hat. // Es ist ein neues Phänomen getragen vor einer unreligiösen // Schicht, die nichts mit diesen volksreligiösen Vorstellungen und auch nicht unbedingt etwas mit Bauern und mit dem einfachen Volk zu tun haben wollte.“
Erzählerin
Denn die Bewegung kam nicht aus dem Volk, war kein spontaner Aufstand von verelendeten Bauern oder unzufriedenen Intellektuellen:
Zuspielung 2
„Das besondere war, dass es eine Revolution war, die von oben initiiert wurde.“
Erzählerin
Die Kulturrevolution, die von 1966 bis 1976 in China wütete, gilt als Mao Zedongs letzter Versuch, sein ideologisches Erbe zu retten. Hans Kühner:
Zuspielung 3
„Es war ein Ereignis, das von Elementen der Parteiführung strategisch vorbereitet und dann auch strategisch umgesetzt wurde, um Gegner innerhalb der Partei zu schwächen und letztlich auszuschalten und den Machtanspruch von Mao zu festigen bzw. Mao wieder zu installieren in der Parteiführung. //
Erzählerin
Mao hatte in den Jahren vor 1966 viel von seiner Macht verloren. Er wurde verantwortlich gemacht für die große Hungersnot Ende der 50er Jahre. Auf Grund politischer Fehlentscheidungen starben bis zu 30 Millionen Menschen.
Zuspielung 4
„Mao musste zurücktreten in der Zeit und musste sich auch aus der direkten
Führung der Partei zurückziehen. Und er sah das ganze Land in eine Richtung gehen, die seinen Vorstellungen von einer egalitären Gesellschaft widersprochen haben.“
Erzählerin
Eine egalitäre Gesellschaft – ein Paradies egalitären Wohlstands – hatte Mao als Ergebnis des „großen Sprungs nach vorn“ versprochen. In drei Jahren harter Arbeit sollte neben der Landwirtschaft die Schwer- und Leichtindustrieindustrie aufgebaut werden. Ein Irrweg direkt in die Katastrophe. Maos Ansehen im Volk schadete das Desaster allerdings nicht. Es wurde ihm – dem großen Steuermann – hoch angerechnet, dass Armeelastwagen mit Getreide in die Dörfer geschickt wurden, um die Hungernden zu retten.
Zuspielung 5
„Man kann sagen, die Kulturrevolution war auf der einen Seite eine Folge und ein Ausdruck des Machtkampfes und des Versuchs Maos, sich zu behaupten, aber auf der anderen Seite kann man es nicht darauf reduzieren. // Denn es ging ja tatsächlich um politische und wirtschaftliche Fragestellungen: // Wollen wir eine egalitäre Gesellschaft? Wollen wir eine sozialistische Gesellschaft? Oder wollen wir eine Gesellschaft – so wie Mao es dargestellt hat – in der eine kleine, privilegierte Elite von Parteikadern und von Technokraten das Sagen hat?“
Erzählerin
Mao Zedong sah sich in der Tradition der chinesischen Bauernrevolutionäre, die Dynastien stürzten und selbst zum Kaiser aufstiegen. Auf Maos Seite standen seine Ehefrau Jiang Qing und Verteidigungsminister Lin Biao, seine Kontrahenten an der Spitze der Kommunistischen Partei Chinas waren Deng Xiaoping und Liu Shaoqi. Zwischen beiden Lagern versuchte Ministerpräsident Zhou Enlai als Pragmatiker die Balance zu halten. Deng und Liu waren in Maos Augen Technokraten, deren Politik vor allem das Wachstum der Wirtschaft zum Ziel hatte, nicht so sehr den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft.
Unter Deng und Liu entwickelten sich Partei und Staatsverwaltung zu bürokratischen und hierarchischen Apparaten. Staatsbeamte und Parteifunktionäre bildeten eine elitäre Kaste mit guten Gehältern und Privilegien: Sie wohnten in eigenen Siedlungen, hatten Anspruch auf große Wohnungen, Dienstwagen mit Chauffeur und Urlaub in speziellen Erholungsorten. All das war das Gegenteil von dem, was Mao vorschwebte. Doch Anfang der 60iger Jahre konnte er sich noch nicht wieder in der Partei durchsetzen:
Zuspielung: 6
„Er hat sich dann im Frühjahr 1966 auf eine Reise durch China begeben, // und hat dort die Provinz//parteichefs, die Kommandeure der verschiedenen Militärbezirke kontaktiert // und sondiert, auf wessen Unterstützung er eigentlich rechnen kann. Und nach einigen Wochen tauchte er wieder auf und dieses Auftauchen war dann tatsächlich im eigentlichen Sinne des Wortes. Er tauchte auf im Jangtse, als er schwimmend den Jangtse überquert hat. Das war natürlich eine Demonstration // Jetzt bin ich in voller Stärke wieder da und ich bin fit und man kann mich nicht abschreiben – er war ja zu diesem Zeitpunkt schon über 70. // Er ist nach Peking zurückgekehrt und hat seine // Konkurrenten in der Parteiführung abgesetzt mit einer Wandzeitung, die er selber aufgehängt hat mit dem Titel: „Beschießt, bombardiert das Hauptquartier“ und das Hauptquartier ist die Parteiführung.“
Erzählerin
Ohne diese Vorbereitungen wäre ihm wahrscheinlich kaum jemand gefolgt, als er 1966 zum Klassenkampf aufrief, sagt Hans Kühner. Zur Vorbereitung hatte das Militär unter Leitung von Lin Biao den Personenkult um Mao auf die Spitze getrieben.
Zuspielung 7
„Es hat mehrere Monate gebraucht, in denen sich die Situation zugespitzt hat, in denen den kulturrevolutionären Kräften klar gemacht wurde, dass sie jetzt in einer Situation sind, wo sie keine Sanktionen zu befürchten haben, // wenn sie sich in Bewegung setzen und in denen der Einfluss Maos in den Medien immer stärker geworden ist. Also es war ein Prozess der öffentlichen Meinungsbildung und ein Prozess, // in dem sich schon die Macht der Partei angefangen hat zu zersetzen und erst in dem Augenblick, in dem man nicht mehr damit rechnen muss, dass man sofort verhaftet wird und ins Arbeitslager kommt, war es möglich diese // Massenbewegung in Gang zu setzen.“
Erzählerin
Am Beginn richtete sich der Aufstand gegen das Bildungssystem. In den Schulen und Universitäten wurde der Lehrbetrieb eingestellt. Mao sah in den extrem leistungsorientierten Schulen und Universitäten Einrichtungen, in denen eine angepasste technokratische Elite herangebildet wurde. Er wollte, dass die breite Masse praktische Qualifikationen erwarb, die die Jugendlichen durch ihr politisches Bewusstsein selbstständig anwenden sollten.
Zitator: (Zitat Mao)
„Die gegenwärtige Methode zertritt die Begabung der jungen Leute. Die Studenten müssen zu viele Bücher lesen. Das Prüfungssystem behandelt die Studenten wie Feinde: es fällt aus dem Hinterhalt über sie her. Das behindert die lebendige und organische Entfaltung der moralischen, geistigen und körperlichen Fähigkeiten der Jugendlichen, was das Studium im Endeffekt nutzlos macht.“
Erzählerin
Es gab viele Jugendliche, zumeist Kinder von Parteikadern, die sich in Schule und Hochschule durch die strenge Selektion ungerecht behandelt fühlten. Bei ihnen fielen Maos Worte auf fruchtbaren Boden. Maos Idee, sich im revolutionären Kampf selbst zu erziehen und so den neuen sozialistischen Menschen herauszubilden und sein Erbe weiterzutragen, gefiel ihnen. Denn die Kulturrevolution sollte die Menschen in der Tiefe ihrer Herzen erfassen und ihr Bewusstsein verwandeln. Gekämpft wurde mit Worten. Die Wandzeitung wurde zum wichtigsten Kommunikationsmittel der Zeit:
Zuspielung 8
„Wandzeitung heißt auf Chinesisch „dazibao“. Dazibao heißt wörtlich übersetzt, eine Zeitung oder eine Bekanntmachung in großen Schriftzeichen, so dass man es gut lesen kann, die irgendwo an der Wand aufgehängt wird. Und tatsächlich hatte damals in der Anfangszeit der Kulturrevolution die Bevölkerung das Recht errungen// die jungen Arbeiter, Studenten, Schüler haben sich dieses Recht erkämpft, Wandzeitungen aufzuhängen, in denen sie Missstände an ihrem Arbeitsplatz, in ihrer Schule angeprangert haben und in denen sie beschrieben haben, was ihnen beispielsweise an Unrecht widerfahren ist. (Es war ein Mittel für die offene Meinungsäußerung).“
Erzählerin
In kurzer Zeit waren so gut wie alle Mauern in den Städten mit Wandzeitungen bedeckt. Später wurden dort auch die politischen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Fraktionen innerhalb der Partei und den verschiedenen Gruppen innerhalb der Roten Garden geführt:
Zuspielung 9: (Take 10 Dippner)
„Man darf die Kulturrevolution nicht als etwas sehen, was nur von oben initiiert gewesen wäre, und für die Bevölkerung eine Qual gewesen wäre // sondern das war schon eine Volksbewegung auch, wo große Teile der Bevölkerung sehr enthusiastisch partizipiert haben, auch gerade durch Erfahrungen aus dem Bürgerkrieg zuvor, wo eben die Direktiven der KP immer sehr erfolgsweisend waren.“
Erzählerin
Gelitten haben vor allem Angehörige der früheren bürgerlichen Mittelschicht. Die Roten Garde nahmen die Aufrufe von Mao und Lin Biao wörtlich. Sie drangen in Wohnungen ein, zerschlugen alte Möbel und Porzellan, verbrannten Bücher und Bilder. Teehäuser wurden als Orte dekadenten Müßiggangs geschlossen. Auch der Denunziation war Tor und Tür geöffnet.
Manchmal wurden die Roten Garden benutzt, um alte Rechnungen unter Nachbarn zu begleichen. Die Schriftstellerin Jung Chang war 14 Jahre alt als sie Rotgardistin wurde. In ihrer Biografie „Wilde Schwäne“ beschreibt sei eine Aktion:
Zitatorin: (aus „Wilde Schwäne“)
„Die Wohnung der beschuldigten Frau bestand aus zwei Zimmern. Als ich den Raum betrat, bot sich mir ein entsetzlicher Anblick: ein Moskitonetz hing halb heruntergerissen, Kleider waren überall verstreut, von der Decke baumelte eine Glühbirne und in der Mitte des Zimmers kniete eine etwa vierzig jährige Frau, mit nacktem Oberkörper. Ihr Haar war völlig durcheinander, an einigen Stelle klebte Blut, auf dem Rücken war das Fleisch aufgeplatzt. Sie war mit Wunden und Blutflecken übersät. Ich erschrak, als ich sah, wer sie folterte. Ein 15 jähriger Junge aus meiner Schule, den ich bisher recht gut hatte leiden können.“
Zitator (Zitat Mao)
„Mitleid gegenüber dem Feind, ist Grausamkeit gegenüber dem Volk“.
Erzählerin
Dieser Ausspruch von Mao Zedong diente zur Rechtfertigung der Misshandlungen. Die Gewalt steigerte sich, als Mao und Lin Biao dazu aufriefen, konterrevolutionäre Parteikader abzusetzen. Bis zu 70 Prozent der Funktionäre landesweit wurden aus ihren Ämtern gejagt. Nun bildeten nicht mehr nur Funktionärskinder Rote Garden und verfolgten lokale Parteiführerinnen und -führer, die sie beschuldigten „Kapitalistenhelfer“ zu sein. Immer mehr Jugendliche stürmten Geheimarchive, verwüsteten Ministerien und griffen selbst Ministerpräsident Zhou Enlai an. Auf Wandzeitungen wurde er beschuldigt, Führer der ‚Roten Kapitalistenklasse‘ zu sein. Die britische Botschaft wurde niedergebrannt, sogar Diplomaten von befreundeten Staaten wie der DDR wurden verprügelt. Deng und Liu, den beiden Hauptkontrahenten von Mao, wurde vorgeworfen, den Kapitalismus einführen zu wollen. Deng konnte sich in einen ländlichen Verbannungsort retten, während Liu Shoaqi in Peking verhaftet wurde und 1969 im Gefängnis starb.
Zu dieser Zeit hielt sich auch die Rotgardistin Jung Chang in Peking auf, um den Vorsitzenden Mao zu sehen. Immer dabei – die rote Mao-Bibel:
Zitatorin (aus „Wilde Schwäne“)
„(Die nächtlichen Straßen waren voll von Menschen). Aus allen Bezirken der Hauptstadt zogen die Roten Garden zum Tiananmen-Platz. Parolen brausten wie ohrenbetäubende Wellen über die Menge. Während wir mitschrieen, winkten wir mit unseren Roten Büchern. „Lang lebe der Vorsitzende Mao!“
Zuspielung 10: (aus swr 2 Zeitwort) mit deutscher Overvoice
„Der Vorsitzende Mao ist unser Kommandeur. // Wenn wir alle dem Vorsitzenden gut zuhören und seine Anweisungen befolgen, dann wird die große Kulturrevolution Erfolg haben. Dann werden wir große Siege erringen. Wir müssen die alte Denkweise, die alte Kultur, die alten Sitten und Gebräuche der herrschenden Klasse zerstören.(Lasst uns diese Übel beseitigen und alle Hürden aus dem Weg räumen).“
Erzählerin
Lin Biao hielt die Ansprache, Mao – der Vorsitzende, dem alle zuhören wollten – war verstummt. Er litt an Multipler Sklerose und konnte nicht mehr sprechen. Jung Chang schaffte es nicht, einen Blick auf Mao zu werfen, dafür sah sie in einem Autokonvoi Liu Shaoqi:
Zitatorin: (aus „Wilde Schwäne“)
„Auf Wandzeitungen war Liu bereits als Maos ärgster Widersacher angegriffen worden. Mit seiner Absetzung war täglich zu rechnen. Ich bedauerte ihn nicht. Er bedeutete meiner Generation nichts. Wir waren einzig und allein mit dem Personenkult um Mao aufgewachsen. Wenn Liu sich gegen Mao gewandt hatte, war es selbstverständlich, dass er gehen musste.“
Erzählerin
Jung Changs Eltern waren beide relativ hohe Parteikader. Auch sie gerieten in die Mühlen der Kulturrevolution. Jung Changs Vater überlebte die Misshandlungen durch das örtlichen Rebellenkomitees nicht. Er starb 1975. Besonders die Vernichtung seiner Bücher setzte ihm stark zu:
Zitatorin: (aus „Wilde Schwäne“)
„Eines Tages stürmten einige Kollegen unter dem Banner des 26. August in unsere Wohnung geradewegs ins Arbeitszimmer meines Vaters. Sie erklärten ihn zum ‚Ewiggestrigen‘, weil er immer noch reaktionäre Bücher besitze. ‚Sie besitzen viel giftiges Unkraut‘, schrie Frau Shau und zog ein paar chinesische Klassiker aus dem Regal, die auf feinem Reispapier gedruckt waren. Dann rissen sie seine Bücher aus den Regalen. Sie sagten meinem Vater, dass seine Bücher am nächsten Tag im Hof der Abteilung verbrannt würden und sie befahlen ihm, zu der Bücherverbrennung zu erscheinen. Sie solle eine Lehre für ihn sein. Mein Vater hatte sein gesamtes Geld für Bücher ausgegeben, sie waren sein Leben gewesen.“
Erzählerin
Als einzelne Rebellengruppen Armee-Einheiten angriffen, sich rivalisierende Gruppen gegenseitig abschlachteten, Bauern sich bewaffneten und in die Städte zogen, um Partei- und Regierungsgebäude anzugreifen, gab Mao im September 1967 den Befehl, die Ordnung mit Waffengewalt wieder herzustellen. Allerdings waren einzelne regionale Führungskader so mächtig geworden, dass in Ungnade gefallene Funktionäre weiter verfolgt wurden. Sie wurden als ‚Kapitalistenhelfer‘ vor Anklageversammlungen gezerrt, dort geschlagen und gequält. Selbst Marschälle und Generäle wurden öffentlich gedemütigt.
Musik : heroischer Gesang (z.B. der Osten ist rot)
Erzählerin
Als die kommunistische Partei 1949 die Volksrepublik ausrief, war China eines der ärmsten Länder der Welt. Für diesen Zustand wurde vor allem die traditionelle Kultur verantwortlich gemacht. Als Träger dieser Kultur standen Gelehrte, Schriftsteller und Intellektuelle unter Generalverdacht. Mao bezeichnete sie als:
Zitat: Mao
„Stinkende Neunte Kategorie der Klassenfeinde“
Erzählerin
Während der Kulturrevolution spitzte sich der Kulturkampf zu: Literatur und Theater sollte die Erfahrungswelt der breiten Volksmassen spiegeln und die nationale Befreiung und den Sozialismus propagieren. Maos Ehefrau Jiang Qing wurde oberste Kulturbeauftragte und widmete sich insbesondere der Reform der Peking Oper. Mit dem Ballett ‚Das rote Frauenbataillon‘ oder ‚Mit taktischem Geschick den Tigerberg erobert‘ sollte der ausländischen und der traditionellen Kultur etwas Neues entgegengesetzt werden. Heute wirkt das, was damals produziert wurde, skurril, sagt Hans Kühner.
Zuspielung 11:
„Die Kritik an der alten Peking Oper und an der alten Kultur war, dass die Figuren – die Kaiser, hohen Beamten, die Gelehrten, Adligen -, dass diese Figuren die Hauptrollen spielen, und dass das Volk – die Arbeiter, die Bauern, die Soldaten – gar nicht auftauchten. Und das wichtigste Element in der Reform war also, diese Protagonisten auszutauschen. An die Stelle der Kaiser Arbeiter; Bauern und Soldaten zu setzen und gleichzeitig diese Oper auch musikalisch zu reformieren. Jiang Qing hat dann z.B. das Klavier eingesetzt auch in der Peking Oper, // und sie hat mit der Peking Oper eine durchaus populäre Kunstform aufgegriffen und hat dann diese Kunstform umgestaltet, dass sie eine eindeutige revolutionäre Botschaft aussenden konnte. Gut und Böse waren klar verteilt // die Arbeiter waren die Helden und die Helden sollten von der Kommunistischen Partei geführt werden. Und die
Kommunistische Partei war die strahlende Sonne, die China ins Licht führen würde.“
Erzählerin
Jiang Qing achtete darauf, dass Frauen in den Befreiungskämpfen als gleichberechtigt Handelnde dargestellt wurden. Denn den Frauen hatte die Gründung der Volksrepublik China mehr Rechte gebracht – im Ehegesetz von 1950 wurde ihnen erstmals erlaubt, sich scheiden zu lassen, sich ihren Ehepartner selbst zu suchen – die Zwangsheirat wurde abgeschafft. Sie durften erben und Land besitzen. Das hatte keinen emanzipatorischen Hintergrund, die Wirtschaft benötigte die weibliche Arbeitskraft. Was hatte gravierende Folgen für die Frauen hatte: Die Sinologin Anett Dippner von der Freien Universität Berlin:
Zuspielung 12
„Denn dadurch dass Frauen jetzt auch in die Wirtschaft integriert worden sind, einen Beruf ausüben mussten, entstand erstmals auch diese Doppelbelastung für sie von Familie und Beruf: die Hauptlast der Haushaltsführung und Familie blieb immer noch bei der Frau hängen: // wie man immer so schön sagte: Halber Himmel – ganzer Herd!“
Erzählerin
Die Frauen sollten ihren Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und zum politischen ideologischen Klassenkampf leisten. Und wurden gleichzeitig zu geschlechtslosen Wesen.
Zuspielung 13
„Die Frau als auch diese ganze Frauenbewegung wurde halt immer mehr auch zu einer Arbeiterbewegung, // Frauen, die arbeiten, werden immer mehr zu Arbeitern, die zufällig eben Frauen sind.“
Erzählerin
In der Kulturrevolution wurde die Frau zu einer politisierten Arbeiterin, mit einem besonders revolutionären Bewusstsein, sagt Anett Dippner. Außerdem gab es Vorgaben, wie die revolutionären Helden der Zeit auszusehen haben: mit einer besonders kraftvollen Gestik und Mimik, voll Zuversicht in die glorreiche Zukunft schauend, den Wohlstand der Gesellschaft verkörpernd, gesund, rund und rosig aussehen, so wollte es zumindest die Propaganda. Dass Frauen sich ungerecht behandelt fühlten und auf Grund ihres Geschlechts diskriminiert wurden, tat man damit ab, dass der Klassenkampf noch nicht überall gesiegt hätte:
Zuspielung 14
„Dieses männliche Erscheinungsbild von Frauen eigentlich, was man jetzt auch mit der Mao-Zeit besonders mit der Kulturrevolutionszeit assoziiert, diese gesunde, kräftige, propere Frau mit kurzen Haaren, mit eindeutig sehr wenigen weiblichen Attributen – also auch keine weiblichen Körperformen, keine Schminke, kein Styling, keine modischen Accessoires, sondern eher dieses proletarische Aussehen als Bauer, als Arbeiter, oder Soldatin, liegt eben daran, dass diese Gleichstellungspolitik der Kommunistischen Partei ja nicht eine Gleichstellung der Geschlechter auf einem neutralen Niveau vorsah, sondern es war eine Angleichung der Frau an den Mann.“
Erzählerin
Lange Haare oder geschminkte Lippen galten als bürgerlich dekadent und konnten Frauen in Schwierigkeiten bringen. Gleichzeitig war das Geschlechtslose der Frauen auch ein Schutz vor männlichen Übergriffen. Denn 1969 begann die Partei Millionen junger Leute aufs Land zu schicken, um den Bauern Bildung und die revolutionäre Botschaft des Vorsitzenden Mao zu bringen – wie es damals hieß. So kamen das erste Mal junge Männer und junge Frauen ohne familiäre Begleitung in die Dörfer und mussten ihr Leben dort selbständig organisieren. Offiziell herrschte ein strenger Moralkodex. Sexuelle Beziehungen waren absolut verboten, kamen Liebesverhältnisse durch Denunziation ans Tageslicht, drohte dem Mann Arbeitslager oder Gefängnis.
Musik : heroische Gesänge
Erzählerin
Heute gilt die Zeit der Kulturrevolution in China als verlorene 10 Jahre. Viele haben die Chance auf eine Karriere verloren, ihnen war weder Berufsausbildung noch Hochschulabschluss möglich. Und dennoch: die jungen Leute, die mit viel Enthusiasmus damals in die Landwirtschaft gegangen sind, haben ein großes Maß an Freiheit kennengelernt, sagt Hans Kühner:
Zuspielung 15:
„Und die jungen Leute haben dann die Situation der Freiheit auch genutzt. Sind z.B. durch das ganze Land gereist in Gruppen, haben sogenannten revolutionären Tourismus betrieben Viele haben auch selber ihr eigenes Bildungsprogramm entwickelt. Haben über irgendwelche Kanäle sich westliche Literatur besorgt, haben ausländische Filme gesehen. Es gab eine Untergrundkultur und Untergrundzirkel, in denen durchaus auch etwas Neues entstanden ist. Aber der formale Akt der Bildung ist weggefallen, und was auch weggefallen ist, ist die Wertschätzung für die chinesische Tradition. Was jetzt erst zurück kommt, // z.B. kalligrafische Fertigkeiten, oder überhaupt die Fähigkeit klassische chinesische Texte zu lesen oder zu schreiben.“ //
Erzählerin:
Die Kulturrevolution endete mit Maos Tod 1976. Mao hatte gesagt:
Zitat: Mao
„Es wird in China nicht nur eine Kulturrevolution geben, sondern nach 50 Jahren wird es wieder eine Kulturrevolution geben, denn dann wird der Kapitalismus sich wieder etablieren und dann muss es wieder eine Kulturrevolution geben und es wird ein unendlicher Prozess, in dem man immer wieder egalitäre Vorstellungen realisieren muss.“
Erzählerin:
Wenn man die heutige Situation in China betrachtet – eine recht prophetische Aussage Maos…