Januar 2018

CD-Cover meiner Sendung über den BDM. Dieses Feature wurde am 30. Januar 2018 im rbb-Kulturradio um 19.04 Uhr wiederholt.

Der Bund Deutscher Mädel organisierte Mädchen in einem nie dagewesenen Ausmaß.  Millionen Mädchen im Alter von 10 bis 21 Jahren waren erfasst worden. 1944 betrug ihre Zahl über 4,5 Millionen. BDM-Forscherinnen gehen von über 400 000 BDM-Führerinnen aus. Für die meisten von ihnen war die Mitgliedschaft im BDM, die einzige Möglichkeit mal von zu Hause wegzukommen. Freiheit, Abenteuer, Liedersingen und Lagerfeuer. Das war attraktiv. Und die Arbeitskraft der Jugendlichen wurde ja auch ständig gebraucht: bei der Aussaat genauso wie bei der Ernte, bei Insektenplagen wurden die Kinder zum Sammeln von Kartoffel- und Maikäfern eingesetzt, sie sammelten Altmetalle, Kleider, Papier – sekundär Rohstoffe zum Recycling – würde man heute sagen, und sie sammelten fürs Winterhilfswerk. Sie bildeten die flexibel einsetzbare jubelnde Menge bei Parteitagen, Aufmärschen oder wenn der Führer irgendwo zu begrüßen war. Später im Krieg machten sie Dienst auf Bahnhöfen, betreuten Verwundete oder Evakuierte.
Das Manuskript der Sendung ist in der Redaktion „Zeitpunkte“ im rbb-Kulturradio erhältlich und wer die Sendung hören möchte, klicke den folgenden link an. Bis Januar 2019 ist sie dort zu finden:
www.kulturradio.de/programm/schema/sendungen/kulturtermin/archiv

Der BDM war nicht nur Abenteuer und fröhliche Lieder singen – als Teil des Systems beteiligten sich BDM-Mitglieder an der rassistischen Politik, der Entrechtung und Diskriminierung von Juden, von Polen, Russen und allen anderen Menschen, die sie nicht zur deutschen Rasse zählten. Sie halfen beispielsweise sogenannte Volksdeutsche im besetzten Polen anzusiedeln.
Als Volksdeutsche wurden diejenigen bezeichnet, die in früheren Jahrhunderten nach Russland, Polen, oder ins Baltikum ausgewandert waren. Im Hitler-Stalin-Pakt wurde eine ethnische Säuberung vereinbart, so dass alle Deutschstämmigen aus diesen Gebieten ins Deutsche Reich umgesiedelt wurden – ob die Betroffenen wollten oder nicht.
Geführt wurde der BDM zwischen 1939 bis 1945 von Dr. Jutta Rüdiger, einer promovierten Psychologin. Nach Kriegsende verbrachte diese zweieinhalb Jahre in amerikanischer und britischer Internierung, um dann 1948 eine psychologische Praxis in Düsseldorf zu gründen und als Kinder- und Jugendpsychologin zu arbeiten. Noch bis wenige Jahre vor ihrem Tod im Jahr 2001 verfasste sie Bücher, in denen sie sich um eine historische Rehabilitierung des BDM bemühte.
Für Dagmar Reese haben die Frauen der BDM-Generation vor allem eines gelernt: einsetzbar zu sein an jedem Ort, an den sie gestellt werden. Eben auch im Krieg.

Die Schriftstellerin Renate Finck erinnert sich in ihrer Autobiografie: „Hier stehen wir nun, alle 10-jährigen Jungmädel und Pimpfe – aus der ganzen Stadt – zu einem großen Viereck formiert. Die Feierlichkeit der Stunde hebt mich empor und gibt mir ungeahnte Bedeutung. Ich nehme wahr, dass der Führer mich ruft. Er braucht mich. Überall leuchten Fackeln in der dichter werdenden Dämmerung. Ich spreche langsam und sehr bewusst das Gelöbnis mit: „Jungmädel wollen wir sein, klare Augen wollen wir haben, und tätige Hände, stark und stolz wollen wir werden, zu gerade, um Streber oder Duckmäuser zu sein, zu aufrichtig, um etwas scheinen zu wollen, zu gläubig, um zu zagen und zu zweifeln, zu ehrlich, um zu schmeicheln, zu trotzig, um feige zu sein.“
Renate Finck wollte kein zartes Kind mehr sein, sie wollte stark und kräftig werden und alles aushalten. Das war zwar ganz im Sinne der Nationalsozialisten, 1938 ließ Hitler dann die Katze richtig aus dem Sack. In seiner Rede in Reichenberg verkündete er das Programm zur Kontrolle und Erfassung der jungen Generation, das mit dem Satz endet:“…und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben!“
Im BDM  wuchsen Mädchen heran, die im Alter von 12 bis 16 bereits Qualitäten in Menschführung ausbildeten, sich in Hierarchien zurechtfanden, eigene Ziele verfolgten und Konkurrenzen ausfochten.
Neuere Forschungsarbeiten tragen viele Puzzlesteine zusammen, aus denen das Bild „der Frau der nationalsozialistischen Zukunft“ konstruiert werden sollte. Es reichte in der Realität von der kinderlosen und mit einer Freundin zusammenlebenden Reichsreferentin des BDM Jutta Rüdiger bis zur elffachen Mutter und NS-Frauenschaftsführerin Gertrud Scholz-Klink.
Dagmar Reese gehört zur Generation der frühen Frauenforscherinnen, die sich aufmachten, das Frauenbild im Faschismus zu analysieren und herauszubekommen, was die BDM-Generation tatsächlich prägte und welche Ziele der BDM verfolgte. Ein Lernziel war: das patente Mädchen – nicht die höhere Tochter, die auf den Mann ihres Lebens wartete oder die Intellektuelle, die nicht wusste wie man einen Saum nähte.
Die britische Historikerin Elizabeth Harvey forscht zum Osteinsatz der BDM-Führerinnen. Die meisten Mädchen waren zwischen 14 und 18 Jahren alt. 1940 waren fast 1 400 BDM Führerinnen im Westen Polens eingesetzt. Sie waren als Lehrinnen und sogenannte Schulhelferinnen beteiligt bei der  Abgrenzung im Alltag und der Diskriminierung von Polen unter den Bedingungen des Terrors und der Unterdrückung in den besetzten Gebieten. Das expandierende Reich hatte nicht genügend Personal, um Kindergärten und Schulen für die Volksdeutschen überall in den besetzten Gebieten einzurichten. Der BDM bot sich als eine Art Personalreserve an. Die Frauen waren jung, unverheiratet und flexibel, sagt Elizabeth Harvey.

Literatur:
Dagmar Reese: Die BDM Generation, Verlag Berlin-Brandenburg, 2007 Potsdamer Studien Band 19 (diese Arbeit bildete die Basis meiner Sendung)
Renate Finckh: Sie versprachen uns die Zukunft, Silberburg Verlag, 2002
Eva Sternheim-Peters: Habe ich denn allein gejubelt?, überarbeitete Neuausgabe im Europa Verlag, 2015. Ein ähnliches Buch Frau Sternheim-Peters Anfang der 80er Jahre geschrieben, während ihrer Assistentinnenzeit an der FU Berlin und 8 Jahre lang nach einem Verlag gesucht.
Elisabeth Harvey: Women and the Nazi East, Agents and Witnesses of Germanisation, Yale University Press, 2003