Es ist schon eine Weile her, dass ich mit regelmäßig mit der Lage in Afghanistan beschäftigt habe. Ob es die RAWA Frauen noch gibt, mit denen ich Anfang der „Nullerjahre“ mehrere Beiträge gemacht habe? Eine meiner Interviewpartnerinnen jedenfalls gibt es nicht mehr. Sie hat ein tragisches Ende genommen. Ich will das nicht weiter ausführen, weil ich, wie die anderen auch, nur auf Spekulationen angewiesen bin. Auf jeden Fall haben einige Menschen – Freundinnen und Freunde – von Mariam Notten am 7. März eine Traueranzeige in der TAZ geschaltet. Was sie ausgezeichnet hat, wird ein wenig in einem meiner Beiträge mit ihr deutlich. Ich weiß nur noch, dass ich es ausgesprochen abenteuerlich fand mit ihr in Berlin zur Bank zu gehen und jede Menge 500 Euro Scheine abzuholen, die sie dann in der Provinz Nimroz für Projekte wie Toiletten für eine Schule und Werkstätten für Frauen investierte. Nimroz liegt an der Grenze zum Iran.
Der Beitrag, Die Reise nach Nimroz, findet ihr hier: Die Reise nach Nimroz
Vom 20. Dezember bis 3.Januar war Mariam Notten in der Provinz Nimroz. Sie hatte mehrere Tausend Euro Spendengelder in Berlin gesammelt, um in Nimroz den Ausbau von Schulen zu unterstützen. Mariam Notten war zum Studium Ende der 60iger Jahre nach Berlin gekommen, sie war Soziologin und Dozentin an der ErzieherInnenfachschule in Schöneberg. Sie ist jetzt das erste Mal auf eigene Faust nach Afghanistan gereist, sie kannte die Leute dort in Nimroz nicht, und will im Sommer wieder hinfahren. Sie selbst stammt nicht aus Nimroz sondern aus Kabul und sieht sich selbst als stolze Paschtunin. Aber da die meiste Hilfe nach Kabul geht, hat sie sich für Nimroz entschieden:
Mariam Notten hatte schwer zu tragen an den vielen Geschenken, die sie mit nach Nimroz brachte: 20 Kilo medizinische Geräte, 10 Kilo Medikamente und relativ viel Geld. Über ihrer Reise stand ein glücklicher Stern, alles ging gut, selbst eine neue Grenzstation öffnete kurz vor ihrer Ankunft. Der neue Grenzübergang ersparte ihr eine mehrtägige Autofahrt durch das Gebiet des islamistischen Warlords Ismail Khan, in dem immer wieder Reisende überfallen, ausgeraubt und sogar umgebracht werden. Mariam Notten reiste nur wenige Kilometer über die iranisch-afghanische Grenze in die Hauptstadt Sarandj der Provinz Nimroz:
„Was habe ich vorgefunden? Eine ausgebrannte Erde, eine Mondlandschaft, eine Landschaft, wo es überhaupt keine grünen Bäume gibt es noch nicht mal richtig Wüste. Es ist so eine Art Übergang zur Verwüstung. Das Land ist in diesen 25 Jahren völlig verwüstet worden. Da regnet es seit 5 Jahren nicht mehr, die Flüsse sind ohne Wasser. Die Menschen haben25 Jahre lang ihr land verlassen und sind in den Iran oder Pakistan gegangen. Also das Land ist völlig verwahrlost. Ich war erschlagen. Ich dachte ich bin überhaupt nicht mehr auf dieser Erde. Ich bin auf einem anderen Planeten katapultiert worden in einer Zeitreise oder in einer Zeitmaschine. Das hat mich sehr, sehr belastet am Anfang.“
Nimroz liegt in einem 3-Länder Eck Iran, Pakistan und Afghanistan. Die Menschen haben im Krieg ihre Heimat verlassen, und sind nun seit einem Jahr wieder zurück. Mariam Notten engagiert sich besonders für Nimroz, weil dort Nicht–fundamentalisten die Oberhand behalten haben. Die Provinzregierenden sind mit deutschen Sozialdemokraten vergleichbar:
Diese Provinz ist die sicherste in Afghanistan, was die Sicherheit der Bevölkerung angeht. Es gibt kaum bewaffnete Männer dort zu sehen, bis auf die Soldaten, die in ihren Kasernen sind. Und dass sie Frauen gegenüber sehr tolerant und sehe sehr frei sind. Aus allen anderen Provinzen Afghanistans selbst aus Kabul kommen alleinstehende Frauen in diese Provinz, um dort zu arbeiten. Ihre Begründung: Sie sind dort sicherer. Und diese Sicherheit habe ich auch in diesem 11 Tagen selbst erlebt.“
Das ist das Besondere: Der Provinzregierung ist es gelungen, die Männer entweder zu entwaffnen oder aber davon zu überzeugen, dass sie ihre Waffen nicht mehr auf der Straße zeigen. Deshalb fühlen sich die Menschen so sicher, dass sie nachts die Türen ihrer Häuser nicht abschließen, erzählt Mariam Notten. Stattdessen werden in Eigeninitiative Häuser und Öffentliche Gebäude in Stand gesetzt. 14 Schulen sind in der Provinz wieder in Betrieb, so auch die Mädchenschule in Sarandj. Der Unterricht findet wieder in Klassenräumen statt. 140 Lehrerinnen unterrichten 3000 Mädchen. Das ist nicht schlecht. Das einzige, was in der Schule fehlte, war Wasser für Waschräume und Toiletten. Hier hat Mariam Notten die ersten 360 Euro investiert, und noch bevor sie wieder abreiste, wurden die Wassertanks auf dem Klohäuschen montiert. Die Spendengelder werden jetzt für eine Dorfschule in der Umgebung von Sarandj ausgegeben.
Und das ging so rasant , dass ich nur zu diesem Gouverneur gegangen bin und in einem 20minütigen Gespräch hat er mir vorgeschlagen, ja, das Land, das Grundstück für die Schule stellen wir zur Verfügung. Und am nächsten Tag kamen zwei Bürger dieses Dorfes zu dem Gouverneur und haben gesagt, sie verschenken ihr Stück Land für die Schule. Und das ist kein billiges Land und auch nicht so wenig. Das sind immerhin fast 5000 Quadratmeter Grundstück im Wert von 35 000 Euro, als wir das geschätzt haben. Und das haben zwei Bürger ganz einfach verschenkt. Und am nächsten Tag am 4.Tag nach meiner Ankunft, standen wir schon auf diesem Grundstück und haben den 1.Spatenstich dort feierlich begangen und das war schon eine überwältigende Erfahrung, was ich da gemacht habe.
Mariam Notten war ein ungewöhnlicher Gast in Nimroz. Sie ist erst die zweite Exil-Afghanin, die in diese Gegend gereist ist. Ungewöhnlich, weil sie die Provinz aus politischen Gründen unterstützt und nicht wie es in Afghanistan üblich ist, weil sie dort geboren wurde, erzählt Mariam Notten.
Mit Hilfe der restlichen Berliner Spendengelder will die Organisation demokratischer Frauen von Nimroz vor allem für Witwen Arbeitsplätze schaffen. Die Frauen leben mit ihren Kindern in Flüchtlingslagern in Zelten in der Umgebung von Sarandj:
Ich denke schon, dass man 4 Projekte dort damit organisieren kann. Also erst eine Bäckerei, eine Wäscherei, eine Näherei für Steppdecken. Das kann man gut organisieren, je nach dem wie groß sollte sie sein. Alle Frauen, die diese Projekte auf die Beine stellen sind Lehrerinnen. Das müssen sie in ihrer Freizeit machen natürlich. Kann sein, dass jeweils 5 bis 10 Witwen in einem Projekt Arbeit finden werden. Das Geld reicht schon für mehrere Projekte aus.“
Das Prinzip ist einfach: von den Spendengeldern werden Nähmaterial und Mehl gekauft. Die Steppdecken oder Brote werden verkauft und von den Überschüssen bekommen die Frauen ihren Lohn. Mariam Notten hat den Provinzgouverneur so sehr beeindruckt, dass er sofort bereit war, die Frauenbäckerei zu unterstützen:
Es gibt nicht diese Bäckerei, was man aus Deutschland kennt, das in jeder Bäckerei 20 verschiedene Brotsorten und 25 verschiedene Formen von Brot gibt oder Kuchen und so. Also die Afghanen essen meistens Weißbrot so Fladenbrot und das ist schon ihr Grundnahrungsmittel neben Fleisch und Gemüse. Und dieses Brot kann jede Frau – sagen wir mal fast jede Frau backen. Und es gibt auch eine Tradition von Frauen-Bäckereien in Afghanistan überall. Es wird also sehr frisch gebacken, für 3 Mahlzeiten immer wieder frisch praktisch. Das Brot kann man nicht aufheben, weil es schnell hart wird. So dass ne Bäckerei den ganzen Tag zu tun hätte.
Auch wenn die Regierung selber relativ liberal ist, gelten auch in Nimroz Kleidervorschriften. Die Burka haben die Frauen allerdings sofort nach der Niederlage der Taliban abgelegt. Dafür haben sie sich die großen schwarzen Tücher um den Kopf gebunden, die sie jahrzehntelang im Iran tragen mussten:
Es geht nicht nur um die Männer, die in der Provinzregierung sind. Die können nicht den Frauen befehlen, jetzt legt eure Schleier ab. Sondern das sind die Frauen selbst und ihre Ehemänner wahrscheinlich auch zum großen Teil. Die Familien haben eben 25 Jahre lang im Ausland gelebt, eine ganze Generation ist aufgewachsen im Ausland mit diesen Kopftüchern und ich denke psychologisch ist es schon eine große Barriere, von einem Jahr zum anderen 25 Jahre Entwicklung rückgängig zu machen. Das sagen sie auch selber.“