Alles was verspricht, über die „Belle Epoque“ vor allem in Mittel-Osteuropa oder noch weiter nach Osten zu erzählen, zieht mich magisch an. So auch „Die kaukasischen Tage“, in denen es um die vergangene Grandezza des Baku der Ölbarone zu Beginn des letzten Jahrhunderts geht. Umm-Banine Assadoulaeff schrieb Ende der vierziger Jahre des 20 Jahrhunderts ihre Kindheitserinnerungen auf, wobei die Kindheit in der aserbaidschanischen Gesellschaft oft mit 13, 14 oder 15 endete. Dann wurden die Mädchen nämlich verheiratet und von ihren Ehemänner (meist reichlich viel älter) „zur Frau“ gemacht. Dass die Ehen von den Eltern vereinbart wurden, versteht sich von selbst und Polygamie war Pflicht. Allerdings nur für Männer, was Banine und ihre Freundinnen durchaus bedauerten. Wie überhaupt das sexuelle Begehren einen großen Teil der weiblichen Gedankenwelt einnimmt. Nach dem Motto: Schnell irgendeinen Mann heiraten, um dann selbst auf die Pirsch zu gehen.
Wie gesagt angelockt wurde ich wegen der Baku-Bezüge. Hängen geblieben sind vor allem Beschreibungen der zänkischen Großfamilie, einer immer und überall fluchenden Großmutter und eines orientierungslosen Kindes Banine. Sie hat die Erinnerungen im Alter von Mitte 30 geschrieben. Da war sie längst in Paris, der Stadt ihrer Träume, angekommen, hatte ihren spielsüchtigen Ehemann auf der Flucht im Alter von 15 Jahren in der Türkei zurückgelassen. Von Baku hab ich gelernt, dass es immer nach Öl roch – für sie ein Wohlgeruch: „Ich war ein Kind des Öls – sein Geruch schmeichelte meiner Nase.“
Während der Lektüre habe ich manchmal gedacht, dass ich das Thema Zwangsheirat irgendwie anders verstanden hab, als es in den kausasischen Landesteilen des Zarenreichs scheinbar gelebt wurde. Auch Polygamie hab ich bislang nicht als paradiesische Frauenkommune gesehen wie Banine. Als die Bolschewiki 1920 die Frauen befreien wollten, sollen sie das nicht als Fortschritt gesehen haben. So wird es jedenfalls in dem sowjetischen Spielfilm „Weiße Sonne der Wüste“ (Drehbuch ein aserbaidschanischer Schriftsteller) kolportiert. Denn sie sollten als emanzipierte, monogam lebende Frauen nun plötzlich ganz allein für den Mann, den Haushalt, die Kinder und die Küche zuständig sein. Erwähnt wird die Spielfilmszene von Olga Grjasnowa im Nachwort. Olga Grjasnowa wurde 1984 in Baku geboren und lebt seit vielen Jahren in Deutschland als erfolgreiche Autorin.
Am Ende sollte das Buch als Entwicklungsroman eines Mädchens aus reichem Haus gelesen werden. Ob ich mir allerdings die Ausgabe von 1949 gekauft hätte, wage ich zu bezweifeln. Denn da hatte nämlich ein enger Freund von Umm-El-Banine Assadoulaeff das Vorwort geschrieben: Ernst Jünger! Das hat der Verlag in der neuen Ausgabe gestrichen.
Banine: Kaukasische Tage, 306 Seiten, dtv 2021, 24,00 Euro