Gerade las ich, dass der türkische Präsident Erdogan sich über die Sängerin Sezen Akzu so geärgert hat, dass er dazu aufrief, ihr die Zunge herauszureißen. Nach einem Shitstorm rudert nun das Präsidialamt zurück, so hätte es der Baskan nicht gemeint…..Nun ja.
Sezen Akzu ist nicht irgendeine türkische Popdiva. Sie ist seit vielen, vielen Jahren „im Geschäft“ und 2005 beteiligte sie sich an einem Projekt gemeinsam mit Mobilfunkanbieter turkcell, das für mehr Schulbildung für Mädchen warb.
Sie nahm die CD „Kardelen“ auf. Der Erlös kam dem Projekt zu Gute.
Ich lernte das Projekt 2005 in der Türkei kennen als ich für den rbb über die weibliche Lebensrealität in der Türkei berichtete. Mein Regisseur im heimischen Studio damals machte mich darauf aufmerksam, dass in der Türkei Kardelen (Schneeglöckchen) ein Synonym für Schwule sei.
„Der Kampf hält und jung“ 12.Februar 2006, rbb, Frauenfunk.
„Der Kampf hält uns jung“ – Lebensrealitäten türkischer Frauen
Regie: Atmo Kinderspielplatz „Hello, yes“
Aut.:
Auf dem Kinderspielplatz vor dem neuen Back- und Waschzentrum in Diyarbakir im Südosten der Türkei. Dass Kinder so unbeschwert spielen ist in dieser Gegend nicht selbstverständlich. Als vor einem Jahren im benachbarten Bismil der erste Kinderspielplatz auf einem ehemaligen Eisenbahngelände eingeweiht wurde, kamen 2000 Kinder. Die neue Bürgermeisterin Sükran Aydin hatte eines ihre Wahlversprechen in die Tat umgesetzt. Das war allerdings wo ungewöhnlich, dass einerseits gegen die Errichtung eines Kinderspielplatzes geklagt wurde und andererseits die Spielgeräte nach einem Tag bereits kaputt waren. Die Bürgermeisterin gab nicht auf und suchte andere Grundstücke. Der Kampf hält uns jung, sagte sie. Und beantwortet lachend die Frage nach ihrem Alter. 47 – ist die dynamische Frau im eleganten Hosenanzug, ihre Haare trägt sie kurz geschnitten und für türkische Führungskräfte ungewöhnlich: die angrauten Haare sind nicht gefärbt und ihr Gesicht ist ungeschminkt. Das kommt gut bei den Frauen an genauso gut wie ihr Regierungsprogramm:
Regie Take 1 Aut. Zeit: 0’30
Türk O-Ton freistehend ca. 0’10 – 0’15
Aut.:
Die Frauen haben sie gewählt, erzählt sie. Und 170 Blumensträuße hat sie nach ihrer Wahl zur Bürgermeisterin bekommen: 20 offizielle von den verschiedenen Vereinen und Verbänden die restlichen 150 wären von Frauen gekommen. Dabei seien die Männer ihrer eigenen Partei von ihrem Plan zu kandidieren überhaupt nicht begeistert gewesen. Schließlich gibt es in der Gegend das Sprichwort: „die Männer haben nichts gemacht und die Frauen machen noch viel weniger.“ Sie will alle vom Gegenteil überzeugen und am Ende ihrer Amtszeit diesen Spruch nicht mehr hören. Besonders verärgert hätte sie die Männer, weil sie trotz der leeren Stadtkasse Geld für Frauen ausgeben wollte: ein Stadtteilzentrum mit Kinderspielplatz und Grünanlage soll gebaut werden, alle Wohnungen sollen einen eigenen Wasseranschluss bekommen und auch noch die letzten Straßen will sie asphaltieren lassen.
Und gegen die prügelnden Ehemänner sie hat bereits etwas unternommen:
Regie Take 2 Aut. Zeit:ca. 2’00
Türk O-Ton freistehend etwa 0’10 – 0’15
Aut.:
In Bismil habe es bislang keinen Ehrenmord gegeben, sagt Sükran Aydin. Es passiere häufiger, dass Männer ihre Frauen verstoßen. Sie sagen dann: ‚Lass die Kinder hier und geh Du dahin zurück, woher DU gekommen bist.‘ Davor hätten die meisten Frauen sehr viel Angst und wagten kaum aufzumucken. Sie habe deshalb eine Versammlung der Mitarbeiter der Stadtverwaltung einberufen und den Männern mitgeteilt, dass sie 1. nur eine Frau heiraten dürften, und dass sie 2. ihre Ehefrau nicht schlagen dürfen. Wenn sie erführe, dass die Männer sich nicht daran halten, wird sie ihnen den Lohn kürzen oder ganz entlassen.
Sie ist zuversichtlich. Die Frauen wüssten davon und würden ihren Männer jetzt drohen, dass sie zur Bürgermeisterin gehen werden.
Regie Musik
Aut.:
Gewalt, sagt die Politologie Professorin Feride Acar, sei ein altes Problem in der Türkei. Feride Acar war 10 Jahre lang Vorsitzende der türkischen Frauenrechtskommission:
Regie Take 3 O/Voice Zeit: 0’50
12’33 „There is a new phenomenon in Turkey is that ….
„Neu ist, dass darüber öffentlich geredet und diskutiert wird. Immer mehr Informationen kommen an das Licht der Öffentlichkeit, die Medien berichten über Gewalt gegen Frauen. Die Frauengruppen sind seit Jahren sehr aktiv. Sie kämpfen seit vielen Jahren dafür, dass Gewalt gegen Frauen als Straftatbestand in die Gesetze aufgenommen werden. Kürzlich sind sowohl das Strafgesetzbuch als auch das Bürgerliche Gesetzbuch geändert worden. Auch wenn jetzt im Rahmen der EU-Beitrittsgespräche beide Gesetzbücher Gewalt gegen Frauen unter Strafe stellen, ist es immer noch nicht genug. Das liegt unter anderem daran, dass die Regierung nach wie vor untätig ist. Da muss noch viel getan werden. Das Thema Gewalt gegen Frauen muss als nationales Anliegen auf die Tagesordnung und davon haben wir bislang nichts gemerkt in der Türkei.
……so far in Turkey.“ 13’36
Aut.:
Nach dem Bericht des Weltwirtschaftsforums zur Frage der Geschlechterdemokratie in der Türkei geben 97 Prozent der verheirateten Frauen an, dass sie mindestens einmal in ihrem bisherigen Leben von ihrem Ehemann zu Hause Gewalt erfahren haben. Rund 34 Prozent der Befragten erleiden ständig gewalttätige Übergriffe. Auch wenn niemand diese Zahlen bestätigen will, ist das Problem der Gewalt gegen Frauen groß. So groß, dass sogar die Tageszeitung Hürriyet eine eigene Kampagne finanziert und sich vorgenommen hat, in jeder Stadt und jedem noch so kleinen Dorf eine Art Einsatzgruppe aufzubauen, an sich betroffene und bedrohte Frauen wenden können. Mehrere Frauengruppen reisen durch das Land, um die Frauen über ihre neuen Rechte zu informieren.
Regie Musik
Aut.:
Angefangen hat alles in Istanbul. Filiz Karahasanogen ist Mitarbeiterin des 1. türkischen Frauenhauses Mor Cati:
Regie Take 4 dt Zeit: 0’40
43’32 „Ende der 80ziger Jahre wurde Mor Cati gegründet. 1987 gab es eine große Demonstration von den Frauen, bei dieser Demonstration waren fast 3000 Frauen und // aus dieser Bewegung // sind ein paar Frauenorganisationen zu Stande gekommen. Eine davon ist Mor Cati, Mor Cati heißt das Lila Dach. // Gegen Gewalt in der Familie ist Mor Cati gegründet.“ 44’19
100’22 „Mor Cati ist sehr bekannt // würde ich mal sagen. Die Polizei hat unsere Telefonnummer und wir verteilen unserer Flugblätter an verschiedenen Orten // Wenn sie die Auskunft anrufen, die Auskunft gibt auch unsere Telefonnummer weiter. Oder durch Fernsehsendungen. In manchen Fernsehsendungen wird unsere Nummer bekannt gegeben. // Oder durch andere Frauenorganisationen oder durch Nachbarn, irgendwie kriegen sie unsere Telefonnummer.“ 101’20
Aut.:
Filiz Karahasanogen ist Textildesignerin und lebte viele Jahre in Hamburg bevor sie nach Istanbul zurückgekehrt ist, um ihre kranke Mutter zu pflegen. Sie meint, die türkische Regierung muss mehr tun, als pro 50 000 Einwohner ein Frauenhaus einzurichten. Vor allen Dingen müssen es autonome Häuser sein. Nur in autonomen Frauenhäusern haben die Frauen eine Chance aus dem Teufelskreis von wirtschaftlicher Abhängigkeit und Gewalt herauszukommen:
Regie Take 6 dt Zeit: 0’55
107’45 „Wir fühlen uns mit ihnen gleichberechtigt. // Und sie lernen // viele Sachen. Sie lernen wie sie selbstständig weiter leben können. In den staatlichen Frauenhäusern kriegen sie diese Perspektive nicht. Also für 3 Monate sind sie da und dann werden sie wieder nach Hause geschickt, oder wieder in eine Gesellschaft, wo sie sich nicht wohlfühlen und, wo sie von irgendeinem anderen Mann Gewalt erleben. // Durch unsere Unterstützung können sie auf eigenen Füßen stehen // und wie sie gegen Gewalt kämpfen können, das können sie teilweise lernen.“ 109’37 // 110’46 „Die Frauenbewegung muss das immer wiederholen: wir brauchen dies, die Frauen brauchen jenes. Dadurch wird es vielleicht anders, also es ist ein Prozess, das wird auch ziemlich lange dauern in der Türkei.“ 110’58
Aut.:
Allerdings hat sich in den letzten drei bis vier Jahren viel für Frauen verändert. Das Beispiel des ‚Wegweisungsparagrafen’ 4320 zeigt, dass die Aktionen der Istanbuler Feministinnen auch Auswirkungen auf das Leben der Kurdinnen im Südosten haben. Die Rechtsanwältin Meral Beschtasch:
Regie Take 7 O Voice Zeit: 1’26
„32’45 türk O-Ton Kadin .. . onbes
34’18 „Eine von meinen Mandantinnen war 15 Jahre verheiratet, berufstätig im Gesundheitsbereich tätig und hatte keine Kinder. Ihr Mann war arbeitslos, er hat sie verprügelt, so dass man die Spuren sehen konnte. Nach dem sie erfahren hatte, dass ihr Mann mit einer anderen Frau ein Verhältnis hat, kam sie und wollte sich scheiden lassen. Dann sind wir zum Gericht. Zwei Prozesse haben wir geführt einmal den Scheidungsprozess und der andere war wegen 4320 das Gesetz, was die gewaltätigen Ehemänner aus den Häusern fernhalten soll. Und wir haben bei beiden Prozessen gewonnen. “ 35’20
Aut.:
Aussichtslos sind dagegen nach wie vor Prozesse gegen Angehörige der türkischen Armee. Mehrere kurdische Frauen waren in Meral Bestas Anwaltskanzlei gekommen, die mit türkischen Soldaten verheiratet waren, aber nach einigen Monaten von ihren Ehemänner verlassen wurden. Diese Frauen haben mit der doppelten Traumatisierung zu kämpfen: sie sind verlassen worden und von türkischen Soldaten missbraucht worden. Für eine Kurdin ist das ein besonderes Problem. Ihr wird zusätzlich noch die Verletzung der Familieehre zur Last gelegt. Oft werden die Betroffenen aus der Familie ausgestoßen, zur Prostitution gezwungen oder in extremen Fällen in den Selbstmord getrieben. Meral Bestas hat auch versucht mehrere Polizisten wegen Vergewaltigung zu verklagen. Aber die Täter wurden freigesprochen.
Eine Veränderung hat es lediglich beim Thema Ehrenmord gegeben. In solchen Fällen arbeitet Rechtsanwältin Bestas heute mit den Sicherkräften und dem Gouverneur zusammen, um die Betroffenen zu verstecken.
Regie: Atmo Selis Teegläser im Hintergrund der Muezzin
Aut.:
Heute finden traumatisierte Frauen in Diyarbakir Hilfe beim Frauenprojekt SELIS. Die Mitarbeiterinnen von SELIS bieten psychologische Beratung an und vermitteln die Frauen weiter an Ärztinnen. Hacer Özdemir berichtet, dass es früher verpönt war psychologische Hilfe anzunehmen. Da galten Frauen als verrückt. Heute ist es erlaubt:
Regie Take 8 Ayse? Zeit: 0’55
17’39 Kadinlar …. traumanlar….18’49
30’40 „An erster Stelle steht die familiäre Gewalt. // An zweiter Stelle kommt der Krieg, der hier das Leben eine zeitlang bestimmt hat. Das war nicht offiziell ein Krieg, insofern war es nicht möglich Maßnahmen dagegen zu treffen, aber Frauen wurden besonders davon betroffen weil, sie aus ihren Dörfern vertrieben wurden, es gibt Anpassungsprobleme, es gab Frauen, die verhaftet worden sind und Gewalt in den Gefängnissen und auf den Polizeirevieren erlebt haben, und das niemanden erzählen konnten. Und das dann mit sich herum schleppen. Es gab Frauen, die im Krieg verletzt worden sind und das dann verarbeiten mussten.“ 20’04
Aut.:
Hacer Özdemir ist 27 Jahre alt und macht seit acht Jahren Frauenarbeit. Ursprünglich hatte sie nur die Grundschule besucht. Die Prüfungen für das Gymnasium holte sie viel später nach und schaffte dann das Abitur. Bei SELIS arbeiten fünf bezahlte Mitarbeiterinnen. Um das Projekt zu finanzieren und den Frauen gleichzeitig einen Job vermitteln zu können, bauten sie SELIS-Frauen einen Nähstube für traditionelle Kleider und eine Seidenweberei auf. Die Anschubfinanzierung leistete unter anderem die Stadt Florenz. Ein bezahlter Arbeitsplatz für Frauen, davon ist man auch bei SELIS überzeugt, ist die Grundlage, um Frauen aus ihren Problemen heraus zu helfen.
Regie: Atmo Muezzin
Aut.:
Um die Berufstätigkeit von Frauen gibt es immer wieder Diskussionen. Einerseits gibt es sie die flotte Geschäftfrau im Hosenanzug, die Akademikerin, die gute Chancen hat Professorin zu werden, andererseits kann ein Fünftel der türkischen Frauen weder lesen noch schreiben und viele verlassen die Schule nach der Grundschule. Zwischen allen Stühlen sitzen die religiösen Frauen, die sich in der Baskan Plattform zusammengetan haben. Sie bestehen darauf auch am Arbeitsplatz ein Kopftuch und einen langen Mantel zu tragen. Safiye Özdemir ist Lehrerin. Sie hat bis 1997 auch als Lehrerin gearbeitet und ein Kopftuch in der Schule getragen. Dann erließ der Nationale Sicherheitsrat am 28.Februar 1997 neue Bekleidungsvorschriften. Das Kopftuch und andere religiöse Kleidung wurde im Öffentlichen Dienst verboten. Alle Frauen, die das Kopftuch nicht abnehmen wollten, wurden entlassen: Egal ob die Älteren kurz vor der Rente standen, oder Studentinnen vor dem Examen. Safiye Özdemir schätzt, dass rund 5000 Frauen damals aus dem Öffentlichen Dienst entlassen wurden:
Regie Take O/Voice Zeit: 0’00
Türk O-Ton ab 47’29 „Baskan Plattform …48’52 …gürüschürüs/ 50’54 türk O-Ton geht weiter ..bis 53’13 mesür olderne“
„Das Problem für religiöse Frauen ist, dass sie zu Hause sein sollen, dass ihr Platz weder in der Öffentlichkeit sein soll im Beruf. Wir sehen das nicht ein und versuchen unsere Meinung auch anderen klarzumachen. Es herrschen jetzt andere Bedingungen, die Frauen können nicht zu Hause eingeschlossen leben. Das diskutieren wir untereinander und bestärken uns gegenseitig und versuchen andere religiöse Frauen davon zu überzeugen. Die Grundlage ist eine Auslegung des Koran aus Frauensicht. Unsere ehemalige Vorsitzende hat darüber promoviert. Denn darunter leiden wir religiösen Frauen am meisten: dass die Vorschriften des Koran immer nur von einem männlichen Blick interpretiert wird. Und die Männer sind nicht bereit, ihre Meinung zu ändern. Sie sind bequem und wollen, dass die Frauen weiter für sie arbeiten. Sie wollen eventuell den Fortschritt für ihre Töchter, aber nicht für ihre Ehefrauen. Einige Berufe werden von den Männern akzeptiert, zum Beispiel Ärztinnen und Lehrerinnen. Und wir sagen dann, wenn ihr das wollt, dann müssen die Frauen aus dem Haus, dann müssen sie studieren und den Beruf erlernen und ausüben. Und wenn ihr sie nicht aus dem Haus lasst, dann geht das nicht. Aber es ist sehr schwer diese Dinge in der Gemeinde zu diskutieren, weil viele Männer einfach darauf beharren, dass Frauen ins Haus gehören.“
Aut.:
Für religiöse Männer waren die Bekleidungsvorschriften kein Problem. Sie rasierten sich ihre Bärte ab und legten die Ringe ab, an denen sie als religiös zu erkennen waren. Die Welle der Entlassungen traf deshalb vor allem Frauen, sagt Safiye Özdemir, ihnen ist es nicht erlaubt so einfach das Kopftuch abzunehmen. Für Männer seien Bärte und Ringe dagegen keine religiöse Pflicht.
Regie: Atmo Muezzin
Aut.:
Der Streit um das Kopftuch der Frauen wird noch lange anhalten. In der türkischen Tagespolitik steht das Kopftuch für ein rückwärts gewandtes Leben. Darüber hinaus wird es als Trojanisches Pferd angesehen, mit dessen Hilfe konservative religiöse Kräfte ihren Einfluss vergrößern wollen. Das Kopftuch ist überall dort verpönt, wo die alten Werte von Kemal Atatürk hochgehalten werden. Atatürk hatte in den 30iger Jahren des letzten Jahrhundert die Frauen per Dekret für gleichberechtigt erklärt. „Die Männer haben das Kopftuch der Frauen zum Symbol für den Islam gemacht!“, empört sich Ayse Dicleli, die Vorsitzende des Dachverbandes KADER. Kader wurde 1997 gegründet und ist der Zusammenschluss von rund 130 Frauenorganisationen mit 12 Zweigstellen in der Türkei und 2500 Mitgliedern. KADER hat sich vorgenommen mehr Frauen für die Politik zu gewinnen. Heute seien 4,4 Prozent der Abgeordneten im türkischen Parlament weiblich, diese Zahl soll in nicht all zu ferner Zeit 30 Prozent betragen:
Regie Take 9 dt Zeit: 0’50
115’37 „Wir haben noch einen langen Weg vor uns. // Es gibt zwei sehr wichtige Hindernisse //: Erstens ist diese männliche politische Struktur, die politischen Parteien sind sehr hierarchisch und männlich dominiert. Der Präsident und die Leitung bestimmen die Kandidaten und Kandidatinnen und // diese Struktur ist sehr fremd für die Frauen. // Das gilt für alle politischen Parteien. Für die, die sich sozialdemokratisch nennen, sozialistisch oder die sich konservativ nennen. Also das ist eine Eigenschaft der Türkei. Zweites Hindernis ist Geld. // Die Frauen haben wenig Geld. // Man verlangt von Kandidaten eine gewisse Kandidatengebühr. Und das ist immer bei den Parteien hoch, die scheinen das sie die Wahlen gewinnen. Ein anderer Grund ist das Selbstbewusstsein. Sie scheuen sich vorzudrängen und zu sagen „ich bin auch da“ und alle unsere Aktionen sind dagegen gerichtet. Wir arbeiten mit Frauen, das sie mehr Selbstbewusstsein bekommen. Wir haben Gesetzentwürfe vorbereitet gegen die politische Struktur und wir verlangen Frauenquota, ohne das kann in einem Land wie der Türkei dieses Bild nicht geändert werden. Und wir haben auch angefangen mit Wählerinnen zu arbeiten. Wir haben Trainingsmaterial vorbereitet für Frauen, die neu lesen und Schreiben gelernt haben. Was sind ihre Rechte? Dass sie, während sie wählen, alleine sind, sie brauchen keine Angst zu haben vor ihrem Mann, Vater. Sie sollen Frauen wählen. // Wir sagen, sie sollen ihre Stimme der Liste geben, die sie meisten Frauen aufgestellt hat.
Aut.:
KADER hat aber genauso dem Kampf um die Mädchenbildung auf die Fahnen geschrieben. Jedes 5. Mädchen geht nicht in die Schule, obwohl es in der Türkei eine Schulpflicht gibt. Allerdings werde meist nicht in die Bildung der Mädchen investiert. Sie werden als Arbeitskräfte ausgebeutet. Die Regierung wirbt zur Zeit gerade mit einem Videoclip für den Schulbesuch: Eine große starke Frau geht singend übers Land und sammelt Mädchen ein, die gerade auf dem Feld arbeiten, ihre kleineren Geschwister hüten oder im Fluss Wäsche waschen. Am Ende des kurzen Films sitzen alle mit strahlenden Gesichtern in der Schule.
Regie: Atmo Musik
Regie: Atmo Büro der Bürgermeisterin
Aut.:
Manche Familien im Südosten der Türkei sind so arm, dass sie sich die Ausbildung nicht leisten können, sagt die Bürgermeisterin von Bayglar Yursudev Özsökmenler. Bayglar hat rund 100 000 Einwoner und ist ein Stadtteil von Diyarbakir. Die kurdischen Familien, die aus ihren Dörfern vertrieben wurden und nun in der Stadt leben würden ohne jedes Einkommen. Sozialhilfe gibt es nicht:
Regie Take 10 Ayse Zeit: 1’42
ID 4 : 17’25 türk. O-Ton : Simdi,… bis 18’05
18’06 „Armut heißt hier fast Hungergrenze. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 60-70 % und wenn sie Arbeit haben, sind das meistens Arbeiten, die vorübergehend sind, die ohne soziale Sicherheit sind. // Das hat zwei Gründe: Sie waren einigermaßen wohlhabend in ihren Dörfern, weil sie dort ihre Tiere hatten, ihre Felder bestellen konnten. // Insofern leben sie hier // in Armut. Zweiter Grund ist, dass in vielen Familien die Männer entweder im Gefängnis sitzen oder umgekommen sind, so dass die Frauen // mit den Großeltern zu Hause sind und da bleibt nichts anderes übrig als die Kinder arbeiten zu lassen und das sind 6 / 7 jährige Kinder // die arbeiten müssen. Insofern müssen sie diese Familien immer wieder unterstützen. // Die Hilfe, die sie dann geben kann ist, Bildungsunterstützung also Materialien usw. und Essen für die Familien, Behandlung für die Leute, die keine soziale Sicherheit haben.“ 20’08
Aut.:
Eine Millionen Neue Lira wurden bisher für soziale Belange ausgegeben. Dazu gehören Wohnheime für Obdachlose Frauen, ein Begegnungszentrum, Schularbeitenhilfe für die Kinder und besonders Hilfe, um die Aufnahmeprüfung zum Gymnasium zu bestehen. Yursudev Özsökmenler ist stolz, dass immer Kinder aus Baglar das schaffen.
Regie: Atmo Wasch- und Backzentrum
Aut.:
Zu den Projekten der Bürgermeisterin gehört auch der Bau eines Wasch- und Backzentrums. 15 Waschmaschinen laufen den ganzen Tag. Nach festgelegten Terminen bringen die Frauen – oder besser gesagt – die Mädchen die Wäsche. Das Einhalten der verabredeten Zeiten war am Anfang ein Problem: die Frauen hatten keine Uhren. Die Benutung ist kostenlos. Selbst das Waschpulver stellt die Gemeinde, genauso wie Mehl und Salz zum Backen der dünnen Fladenbrote. Sieben runde Lehmöfen stehen nebeneinander an der Wand. Die Fladen werden innen an den Rand geklebt, gewendet und sind im nu fertig. Im Aufenthaltsraum fordert ein Plakat: „Duldet nicht die Ehrenmorde“. In diesem ZWo hat Bürgermeisterin Yursudev Özsökmenler das Geld her?
Regie Take 11 AYSE Zeit: 1’10
29’35 Simdi ….30’39
30’40 „Sie hat erst mal das Parlament überzeugt, dass die sozialen Probleme mehr Priorität haben müssen. Dass größerer Teile des Budgets dafür verwendet werden müssen. Das haben sie akzeptiert. Das ist ein Punkt Ansonsten versuchen sie den Wohlhabenden klar zu machen, dass wenn die sozialen Probleme nicht gelöst werden, dass es dann hier eine Explosion geben würde. Einige verstehen das und spenden. Ansonsten versuchen sie EU-Projekte und Weltbank-Projekte aber auch UN-Fonds dazu zu nutzen.“
Aut.:
Yursudev Özsökmenler ist wie die anderen 18 Bürgermeisterinnen seit zwei Jahren im Amt. Eine Anekdote erzählt sie besonders gern: In Baglar wurden in den letzten Monaten sehr viele slumartige Häuser abgerissen und neue Wohnungen gebaut. Da die Firmen pünktlich ihr Geld bekommen, sind alle des Lobes voll. Der Ehemann der Bürgermeisterin, so heißt es in den Männerrunden, könne sehr gut wirtschaften. Dass es die Bürgermeisterin selbst ist, die gut mit Geld umgehen kann, haben viele Männer von Baglar noch immer nicht begriffen. Yursudev Özsökmenler hat viele Pläne. Sie will bei der Kampagne gegen Gewalt in der Familie mitmachen und unter anderem einen Videofilm drehen lassen und da sie als Bürgermeisterin auch Brautpaare traut, will sie diesen Film den Frischvermählten schenken.
Regie: Musik
Aut.:
In der Türkei wird zur Zeit an vielen Problemen gearbeitet, von den vor allem Frauen betroffen sind. Im Rahmen der Annäherung an die Europäische Union hat sich auch schon vieles zum Besseren gewendet. Die Verbesserungen sind allerdings in den seltensten Fällen das Verdienst der Regierung. Im Kabinett von Premier Minister Erdogan gibt es zwar eine Ministerin für Frauen- und Familienangelegenheiten, aber das, sagt die Politologin Feride Acar sei überhaupt nicht der Aufgabe „Gleichstellung von Frau und Mann“ gewachsen:
Regie: Take 12 o voice Zeit:1’20
22’54
This is a main Problem …
Das ist eines der großen Probleme. Die Öffentlichkeitsarbeit müsste das Ministerium für Frauen- und Familienangelegenheiten machen. Aber die Frauenabteilung ist sehr kleine, hat wenig Geld und wenig Personal. Sie verfügt zum Beispiel auch nicht über Außenstellen in den türkischen Provinzen. Das heißt diese Abteilung kann eigentlich überhaupt nichts machen. Sie kann weder die Umsetzung der neuen Gesetze befördern, noch dafür sorgen, dass Richter, Staatsanwälte oder die Polizei über die neuen Paragrafen informiert werden und ihnen auch klar gemacht, was sie im Detail bedeuten. Sie kann ihre Querschnittsaufgabe nicht wahrnehmen. Sie hat keinen Einfluss auf das Unterrichtsministerium, das dort verstärkt sich um Unterricht für Mädchen bemüht wird. Diese Aufgaben werden von zivilgesellschaftlichen Gruppen übernommen. Dazu kommt noch, dass das Frauenministerium vor allem mit den Frauengruppen zusammenarbeitet, anstatt mit den anderen Ministerien und gesellschaftlichen Gruppen, die mehr Geld haben, als die Frauen. Gleichstellungspolitik muss ernstgenommen werden von der gesamten Regierung, denn dann arbeiten alle Ministerien an der Aufgabe mit und nicht nur das Frauenministerium. Die Frauenministerinnen waren immer sehr bemüht, egal von welcher Partei sie kamen. Auch die jetzige ist bemüht, aber sie kann ohne Geld und Einfluss nichts erreichen. Der politische Wille muss da sein und das muss erst noch erreicht werden.“
…is yet to be achieved.“
Aut.:
Am politischen Willen die Lebenssituation von Frauen zu verbessern, fehlt es Sükran Aydin, der Bürgermeisterin von Bismil im Südosten der Türkei nicht.
Mit Geldern von der EU lernen rund 100 Frauen, nähen und schneidern, dann verhandelt die Stadtverwaltung mit einer Firma, die eine Teppichweberei mit 70 Webstühlen einrichten soll, dort sollen 200 Frauen zu Teppichweberinnen ausgebildet werden und dann dort arbeiten, die Firma wird auch bei der Vermarktung der Teppiche helfen.
Dass sie trotz der leeren Stadtkasse Geld für Frauen ausgeben wollte, verärgerte die Männer noch mehr, – lacht sie. Sie plant ein Stadtteilzentrum auf Kredit zu bauen mit einer Cafeteria, die von Frauen betrieben werden soll Die Bewohnerinnen von Bismil wissen was sie an ihrer Bürgermeisterin haben:
Regie Take 14 Zeit: 0’00
O-Ton 57’13 – 57’29 (zu zweite Amtszeit)
Aut.:
Ich will mich eigentlich nicht ein zweites Mal zur Wahl stellen, sagt Sükran Aydin. Aber wenn ich davon spreche, dass ich das Amt weitergeben will, sagen die Frauen: So geht es nicht, Du musst im Amt bleiben, Du wirst noch mal gewählt.“
Regie: Atmo: Muezzin